«Land wieder an die Urne» oder wie wir besser Brücken bauen statt Gräben graben
Sie waren in den letzten Monaten kaum zu übersehen, in den ländlichen Gemeinden hingen sie überall: Die grünen Fahnen, mit dem Aufruf «Land wieder an die Urne». Sie suggerieren ein «wir (vom Land) gegen die Stadtbevölkerung». Die Fahnen stehen exemplarisch für eine Tendenz, die ich leider in den vergangenen Jahren verstärkt feststellen musste: Eine Spaltung der Gesellschaft wird herbeigeredet und verfängt sich in den Köpfen der Bevölkerung. (Meinungs)unterschiede zwischen der Stadt- und Landbevölkerung stelle ich tatsächlich fest, aber hier wird ein inszenierter Kulturkampf heraufbeschworen, es wird auf einem bestehenden Riss herumgehackt, statt den Graben zu zuschütten.
Dass dieses Graben-Denken nicht immer verfängt, durfte ich im Oktober 2019 erfahren. Als grüne Aussenpolitikerin mit einem landwirtschaftlichen Hintergrund wurde ich sowohl von Städter:innen als auch von der Landbevölkerung in den Nationalrat gewählt. Bereits vor dieser Wahl habe ich meine Rolle als Brückenbauerin zwischen ländlichen und städtischen Anliegen gesehen. Ich versuche das Verständnis für die jeweils andere Position zu erhöhen. Auch wenn mir das nicht immer gelingt, ist für mich seit jeher klar: Wir brauchen stabile Brücken statt verbitterte Grabenkämpfe.
So auch beim Klimawandel, welcher uns alle betrifft. Bauernfamilien waren diesen Sommer einer grossen Trockenheit ausgesetzt, welche zu Ernteausfällen führte; die Städter wurden mit Hitzewellen konfrontiert. Hinzu kommt die globale Dimension. Der Klimawandel ist nicht nur ein Umweltproblem, sondern in erster Linie ein Gerechtigkeitsproblem. Denn die Menschen in den Entwicklungsländern leiden am meisten unter dem Klimawandel, obwohl sie kaum dazu beigetragen haben.
Dabei fällt mir immer wieder auf, wie sich die Landbevölkerung für die Herausforderungen der Bäuerinnen und Bauern aus Kenia, Indien oder der Ukraine interessiert. Beispielsweise am «Bärner Bio Märit» als ich über die globale Ernährungskrise sprechen konnte. Ich treffe auf viel Verständnis für das Schweizer Engagement im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in diesen Ländern. Denn mit den Auswirkungen des Klimawandels, den wirtschaftlichen Herausforderungen der Landwirtschaft und bei der Verrichtung der körperlich anstrengenden Arbeit kennt man sich ebenfalls in Madiswil aus – auch wenn die Schwierigkeiten hierzulande in einem anderen Verhältnis stehen.
Vielleicht wäre das ein Ansatz für ein besseres Miteinander: Die Gegenseitige Anerkennung der Arbeit, die geleistet wird, die Wertschätzung der unterschiedlichen Lebensformen, statt das gegenseitige Kritisieren. So wäre wieder ein Dialog möglich, ein Dialog, der dringend nötig ist, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.
Gerade auch in der Aussenpolitik. Denn der Multilateralismus, die internationale Zusammenarbeit, ist gefährdet. Dabei ist diese nicht nur für die Welt, sondern auch für die kleine Schweiz enorm wichtig. Als Land mit einer starken Exportwirtschaft ist die Schweiz auf eine stabile Weltordnung angewiesen. Gleichzeitig kann die Schweiz mit ihrer Friedensförderung, der Humanitären Tradition und der erfolgreichen Entwicklungszusammenarbeit einen echten Mehrwert bieten. Um die Probleme zu lösen müssen wir alle miteinander zusammenarbeiten. Das gilt auf der Welt, in der Schweiz und auch in jedem Dorf – die Rüebenchilbi in Madiswil gäbe es nicht, wenn nicht (fast) alle im Dorf etwas dazu beitragen würden. Dieses Prinzip des Miteinander kann auch auf die internationale Zusammenarbeit übertragen werden.
Leider wird dies im täglichen Medienzirkus wenig bis nicht thematisiert. Deshalb müssen wir uns auch nicht wundern, wenn die internationale Zusammenarbeit kaum bekannt und als nicht wichtig erachtet wird. Doch wenn die Weltordnung ins Wanken gerät, wie nun mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, hat dies auch Auswirkungen auf die Landbevölkerung, z.B. auf die Landwirtschaft, welche mit steigenden Preisen der Produktionsmittel konfrontiert ist. Oder wenn die zahlreichen exportorientierte KMU im Oberaargau in Schwierigkeiten geraten und Arbeitsplätze gefährdet sind.
Die Frage ist, wie das Interesse an der Aussenpolitik bei der (Land)bevölkerung gestärkt werden kann. Wir müssen den Mehrwert des Multilateralismus und die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit besser kommunizieren. Wir müssen mit den Menschen sprechen, ich muss mich selbst immer wieder daran erinnern.
Wenn Bedürfnisse oder Positionen bestimmter Bevölkerungsgruppen anderen Personen vermittelt werden sollen, muss nach dem gemeinsamen Fundament gesucht und darauf basierend – Stein für Stein – eine stabile Brücke aufgebaut werden. Und am Ende steht sie: Die Brücke, die einen Dialog ermöglicht, anstatt unterschiedliche Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielt. Denn nur so lassen sich die nationalen, aber auch die globalen Herausforderungen unserer Zeit angehen.
Dieser Meinungsbeitrag ist auf der Webseite der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik erschienen.